Kurze rechtliche Antworten auf ombudschaftliche Fragen

In der Fallanalyse „Zuständig sein und zuständig bleiben!“ des Berliner Rechtshilfefonds Jugendhilfe e.V. werden auf Grundlage der Beratungserfahrungen des durch Aktion-Mensch geförderten Projekts „Zuständig bleiben! Ombudschaft für junge Menschen in schwierigen Übergängen“ Stolpersteine und Hürden beschrieben, denen junge Menschen und ihre Familien hin zu einer bedarfsgerechten Unterstützung durch die Jugendhilfe begegnen. Hierbei werden unterschiedliche rechtliche Fragen aufgeworfen. Ausgehend von der Fallanalyse werden daher im Folgenden kurze rechtliche Einschätzungen zur Verfügung gestellt, die Antworten im ombudschaftlichen Alltag von Kinder- und Jugendhilfe geben sollen.

Wir möchten hierdurch Ombudspersonen, aber auch andere Fachkräfte der Jugendhilfe unterstützen. Die hier zur Verfügung gestellte fachliche Information soll auch ermutigen, sich weiter für eine rechtmäßig handelnde Kinder- und Jugendhilfe einzusetzen. Gelegenheiten hierzu finden sich in der täglichen Arbeit mit den jungen Menschen und ihren Familien, aber auch im fachlichen Austausch mit Kolleginnen und Kollegen ebenso wie mit Vorgesetzten. Wer zudem Lust hat, sich ehrenamtlich ombudschaftlich zu engagieren und so auch Kontakt mit Gleichgesinnten zu finden, kann sich gerne bei uns melden.

Ratsuchende, die z.B. einen ablehnenden Leistungsbescheid erhalten haben oder einen Konflikt mit einer Jugendhilfefachkraft erleben oder befürchten, können die nachfolgende Frageliste natürlich auch nutzen. In der Regel ist es jedoch sinnvoll, dennoch Kontakt mit einer der für Sie zuständigen Ombudsstellen aufzunehmen. So kann auf die Besonderheiten Ihres Einzelfalls eingegangen werden.

Es ist geplant diesen Fragenkatalog zu ergänzen und mit weiteren Antworten anzureichern. Wir freuen uns auf Vorschläge anderer Ombudsstellen zur Ergänzung dieses Fragen- und Antwortkatalogs. Publikationsfähige Beiträge können per Mail an info@brj-berlin.de gesandt werden. Eine Zusage zur Veröffentlichung erfolgt nach Prüfung durch eine Arbeitsgruppe unter Mitwirkung der Mitglieder des BRJ e.V, die ungefähr halbjährlich tagt.

Es gibt mehrere Normen, in denen das Recht der jungen Menschen und ihrer Familien verankert ist, an der Gestaltung der Hilfe mitzuwirken.

Das Recht greift insofern die Erkenntnis der Sozialen Arbeit auf, dass es nur gemeinsam mit den Betroffenen möglich ist, passgenaue Perspektiven zu entwickeln um auf das Erreichen gesteckter Ziele hinzuwirken. Die im Gesetz verankerten Beteiligungs-& Mitbestimmungsrechte sind auf eine Verständigung zwischen den leistungsberechtigten Adressatinnen und Adressaten und den Fachkräften ausgerichtet. Zentral sind:

  • 5 SGB VIII: Wunsch- und Wahlrecht
  • 8 SGB VIII: Beteiligung von Kindern und Jugendlichen
  • 36 SGB VIII: Beteiligung bei der Hilfeplanung

Minderjährige sind selbst Träger von (Grund)Rechten und haben als solche einen eigenen Schutzanspruch gegenüber dem Staat. § 8 SGB VIII hebt die Stellung von Kindern und Jugendlichen als Rechtssubjekt hervor. Sie ist von zentraler Bedeutung für die gesamte Kinder- und Jugendhilfe und wird bereichsspezifisch konkretisiert und ergänzt (z.B. hinsichtlich der Beteiligung bei der Hilfeplanung in § 36 SGB VIII).

Kinder und Jugendliche haben das Recht an allen sie betreffenden Entscheidungen der öffentlichen Jugendhilfe entsprechend ihrem Entwicklungsstand beteiligt zu werden (§ 8 Abs. 1 SGB VIII). Sie haben also das Recht, ihre Vorstellungen und Wünsche bei allen sie betreffenden Entscheidungen einzubringen. Die Vorschrift dient damit dem Interesse der Kinder und Jugendlichen, aber auch dem Ziel auf die Adressaten zugeschnittene, passgenaue und damit bedarfsgerechte Hilfeleistungen zu erbringen. Es geht dabei sowohl um eine Mitwirkung im Verwaltungsverfahren vor der Entscheidung über die Hilfegewährung, als auch um tatsächliche Handlungen etwa im Rahmen der Hilfeerbringung.

Das Recht erstreckt sich auch auf eine kindgerechte Vermittlung der für die Entscheidung maßgeblichen Umstände und Erwägungsgründe. Minderjährige habe ein Recht auf Äußerung, ob und wieweit sie sich einbringen ist ihnen überlassen. Durch altersgerechte Methoden und Unterstützung ist ihnen hierfür jedoch die Möglichkeit zu bereiten.

Jugendämter sind verpflichtet über ihre Angebote und Leistungen aufzuklären sowie über die sich aus dem SGB VIII ergebenden Rechte zu beraten (§§ 13, 14 SGB I). Ein entsprechendes Informations- und Anhörungsrecht wird im SGB VIII ausdrücklich auch Kindern und Jugendlichen eingeräumt. Sie können sich in allen Angelegenheiten der Erziehung und Entwicklung an das Jugendamt wenden (§ 8 Abs. 2 SGB VIII).

Einen Anspruch auf Beratung, ohne dass ihren Personensorgeberechtigten davon etwas mitgeteilt werden darf, haben sie allerdings nur in Not- und Konfliktsituationen und soweit durch eine solche Mitteilung der Beratungszweck vereitelt werden würde (§ 8 Abs. 3 SGB VIII). Diese Einschränkung wird als problematisch bewertet, da oftmals gerade zu Beginn einer Beratung nicht sofort deutlich ist, ob eine Not- und Konfliktlage gegeben ist. Rechtspolitisch wird daher gefordert, diese Einschränkung zu streichen und so den vertraulichen Beratungsanspruch im Interesse von Kindern und Jugendlichen zu stärken.

Kind, Jugendliche/r, junger Volljährige/r, sorgeberechtigte sowie nicht-sorgeberechtigte Eltern, andere Sorgeberechtigte haben ein Recht auf Beteiligung bei der Hilfeplanung (§ 36 SGB VIII).

Dieses Recht gilt zudem als zentrale fachliche Voraussetzung für eine gelingende Hilfe. Es beruht auf der Grundannahme, dass nur gemeinsam mit den Betroffenen ein Verständnis für die bestehenden Belastungen, Probleme, aber auch existierende Ressourcen entwickelt werden kann. Hilfe kann nicht über den Kopf der leistungsberechtigten Menschen wirken, sondern braucht ihre Mitwirkung. Die eigene Sichtweise einzubringen und seine Lebenssituation ohne Vorbehalte zu schildern, kann manchmal gar nicht leicht sein und Gefühle von Verletzlichkeit auslösen. Um eine passende Hilfe zu finden, braucht es aber eben dies. Ohne Respekt und eine positive Grundhaltung den Leistungsberechtigten gegenüber wird das Ziel der Förderung der Kinder und Jugendlichen zu einer eigenverantwortlichen und gemeinschaftsfähigen Persönlichkeit konterkariert.

Das Recht auf Beteiligung steht in engem Zusammenhang mit dem Recht der Familien, über die Gestaltung ihres Lebens selbst zu bestimmen. Deshalb sind ihre Wünsche und Vorstellungen zu berücksichtigen, sie sind aber gleichermaßen den Vorstellungen der Gesellschaft und den Bestimmungen des Rechts zur Absicherung des Kindeswohls gegenüberzustellen. Gemeinsam mit den Adressatinnen und Adressaten ist in jedem Einzelfall auszuloten, welche Ziele, Bewältigungsstrategien und konkrete Hilfen geeignet und notwendig erscheinen. Dabei sind alternative Lebensentwürfe zu respektieren, soweit hierdurch nicht die Grenze der Kindeswohlgefährdung überschritten wird.

Der Verständigungsprozess zwischen den Leistungsberechtigten und der zuständigen Fachkraft richtet sich auf eine gemeinsame Ressourcen- und Problemsicht sowie eine darauf aufbauende Planung und Entwicklung eines gemeinsamen Hilfeverständnisses, welche für das konkrete Ziele vereinbart werden. Manchmal lässt sich dabei keine allumfassende Einigkeit herstellen, was aber auch gar nicht unbedingt erforderlich ist. Gut ist es, wenn im Hilfeplanprotokoll die unterschiedlichen Perspektiven und Sichtweisen der Minderjährigen, ihrer Eltern und der Fachkräfte sichtbar gemacht werden.

Ein solches Gespräch macht erforderlich, dass sich beide Seiten aufeinander einlassen. Es braucht ein Mindestmaß an Respekt, Offenheit und Vertrauen. Kommt es zu Konflikten kann die Hinzuziehung der Ombudsstelle helfen (vgl. Frage 1.6 ).

In § 5 SGB VIII ist das Recht der Leistungsberechtigten festgehalten, zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger wählen und Wünsche hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe äußern zu können. Es geht im Kern um die Frage des „wie“ der Hilfe. Die Entscheidung über das „ob“ und damit zumeist auch die Art der Leistung, auf die ein Anspruch besteht, wird bereits vorher im Rahmen des kooperativen Verständigungsprozesses der Hilfeplanung getroffen (vgl. dazu § 36 SGB VIII: Beteiligung bei der Hilfeplanung). Die Vorschriften § 5 und § 36 SGB VIII unterstreichen die Subjektrolle der Leistungsberechtigten bei der Inanspruchnahme von Hilfen und dienen dem Ziel des Findens passgenauer Hilfen. Das Jugendamt ist verpflichtet die Leistungsberechtigten hierüber aktiv aufzuklären.

Das Jugendamt ist verpflichtet, der Wahl zwischen Einrichtungen und Diensten verschiedener Träger bzw. dem Wunsch hinsichtlich der Gestaltung der Hilfe zu folgen, sofern kein atypischer Einzelfall vorliegt. Es handelt sich dabei um eine sogenannte „soll“-Regelung (also einem Regelrechtsanspruch), bei der das Jugendamt die Darlegungslast der Abweichung von der Regel trägt und nachweisen muss, warum es gerade in diesem konkreten Einzelfall dem Wunsch nicht folgt.

Die Ausübung des Wunsch- und Wahlrechts muss allerdings angemessen sein, die Vorschrift sieht hier einen sogenannten „Mehrkostenvorbehalt“ vor. Zur Feststellung der Unverhältnismäßigkeit von Mehrkosten, die das Jugendamt zur Ablehnung des Wunsches berechtigen, ist ein Kostenvergleich zur alternativen Bedarfsdeckung ohne Berücksichtigung des Wunsches durchzuführen. Auch wenn letztlich die Wertung im Einzelfall entscheidet, werden in der Praxis wohl in der Regel Mehrkosten von bis zu 20% als nicht unverhältnismäßig anerkannt. In Berliner Jugendämtern in der Regel eine Unverhältnismäßigkeit ab Mehrkosten in Höhe von 15% angenommen (Richtwert gem. 5.3 AV Hilfeplanung Berlin). Eine feste Grenze gibt es jedoch nicht – Abweichungen sind aufgrund einer wertenden Betrachtung im Einzelfall möglich.

Wenn sich Leistungsberechtigte und Fachkraft einig sind, welche Hilfe im Einzelfall geeignet und erforderlich ist, spielt der Mehrkostenvorbehalt hingegen keine Rolle.

Vertiefungshinweis: Wiesner/Wiesner, SGB VIII-Kommentar, 5. Aufl.2015, § 5 Rn. 1, 11ff., 16

Minderjährige können ab Vollendung des 15. Lebensjahrs (also nach ihrem 15. Geburtstag), selbst Anträge auf Sozialleistungen stellen, verfolgen und diese entgegennehmen (§ 36 SGB I). Obgleich sie also noch nicht voll geschäftsfähig sind, besteht damit eine echte, von der Vertretungsmacht der Eltern unabhängige Teilmündigkeit auf dem Gebiet des Sozialrechts.

Im Bereich der Individualleistungen des Jugendamtes „Hilfe zur Erziehung“ entfaltet diese Teilmündigkeit allerdings keine Wirkung, da Inhaber des Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung gem. § 27 Abs. 1 SGB VIII nicht die Minderjährigen, sondern ihre Personensorgeberechtigen sind. Eine Jugendliche, die den dringenden Wunsch hat in einer stationären Einrichtung der Jugendhilfe statt zuhause zu leben, kann deshalb allein keinen entsprechenden Antrag beim Jugendamt stellen. Sie kann sich aber an das Jugendamt wenden, das dann gemeinsam mit ihr und den Eltern eine Lösung suchen muss. Bleibt der Konflikt bestehen und weigern sich die Personensorgeberechtigten mit dem Jugendamt zusammenzuarbeiten, können sowohl die dortigen Fachkräfte, aber auch der/die Minderjährige einen Antrag beim Familiengericht auf (teilweisen) Entzug des Sorgerechts stellen, so dass der Antrag auf Hilfe zur Erziehung dann von einem Vormund oder Ergänzungspfleger gestellt wird. Jedes Kind und jede/r Jugendliche hat ferner ein Recht auf Inobhutnahme (§ 42 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 SGB VIII) als Krisenintervention, die Aufnahme in einer Notunterkunft oder einer Kriseneinrichtung darf vom Jugendamt nicht abgelehnt werden.

Anders ist die Rechtslage hinsichtlich der „Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit (drohender) seelischer Behinderung“ (§ 35a Abs. 1 SGB VIII) und auch bei „Eingliederungshilfe bei einer geistigen oder körperlichen Behinderung“ (§§ 53ff. SGB XII bzw. die durch BTHG-Reform ab dem Jahr 2020 ins SGB IX übernommenen Vorgaben). Gleiches gilt für den Bereich der Jugendsozialarbeit (§ 13 SGB VIII) oder wenn es um die Hilfe in einer gemeinsamen Wohnform für Mütter/Väter und Kinder (§ 19 SGB VIII) geht. Hier sind die Minderjährigen selbst Inhaber des Rechtsanspruchs auf Hilfe und können entsprechende Anträge damit ab Vollendung des 15. Lebensjahres auch selbst beim Jugendamt stellen. Die Personensorgeberechtigten sind über die Antragsstellung zu informieren und können dann allerdings durch schriftliche Erklärung gegenüber der zuständigen Behörde das Antragsrecht der Minderjährigen einschränken. Sie können sich damit mit einer Art Veto-Recht ebenfalls gegen den Antrag stellen. Im fortbestehenden Konfliktfall bleibt wiederum die Möglichkeit der Anrufung des Familiengerichts.

Hilfeplanung, aber auch die Hilfeerbringung selbst werden als Prozess der Koproduktion verstanden. Die Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte sichern ihre Ausrichtung auf eine gemeinsame Gestaltung der Hilfe ab (vgl. dazu insbesondere Fragen 1.1, 1.3, 1.4). Die praktische Umsetzung dieser Rechte kann dabei nicht funktionieren, ohne dass sich beide Seiten (Leistungsberechtige und zuständige Fachkräfte der Kinder- und Jugendhilfe) aufeinander einlassen. Es braucht ein Mindestmaß an Respekt, Offenheit und Vertrauen.

In Konflikten kann die Hinzuziehung der Ombudsstelle der Versachlichung des Gesprächs zwischen Leistungsberechtigten und zuständiger Fachkraft dienen und eine Asymmetrie zwischen ihnen ausgleichen.
Durch unabhängige Beratung der Leistungsberechtigten wird die Ombudsperson vorrangig daraufhin wirken, dass der junge Mensch und seine Angehörigen ihre Position im Hilfeplangespräch proaktiv selbst ausfüllen.
Unter Umständen kann auch eine Begleitung in das Hilfeplangespräch durch die Ombudsperson sinnvoll sein, um dort auf die Umsetzung des Beteiligungsrechts und auf eine Verständigung hinzuwirken. Die Gespräche mit der Ombudsperson können die Hilfeplangespräche nicht ersetzten, aber positiv durch Aufklärung und Vermittlung auf sie einwirken.
Die Beratung und Begleitung richtet sich an bestehenden Leistungs- und Verfahrensrechten aus. Sie zielt darauf ab, dass sich die Leistungsberechtigten (wieder) offensiv(er) in die Gespräche einbringen (können), ihre Wünsche und Vorstellungen äußern (können), auf deren Beachtung hinwirken und selbstbewusst(er) und offen agieren (können).

Neben der Wissensvermittlung soll die ombudschaftliche Beratung die Leistungsberechtigten durch das Wecken des Bewusstseins stärken, dass es legitim und keineswegs schädlich ist, wenn sie ihre rechtsstaatlichen Möglichkeiten tatsächlich wahrnehmen. Einige Ombudsstellen verfügen sogar über ein geringes Budget, um in Einzelfällen Ratsuchende bei einer Klage finanziell zu unterstützen und ihr Risiko im Fall des Scheiterns abzufangen (vgl. zu Kosten der Rechtmittel unter Fragen 6).

Ein Rechtsanspruch auf ombudschaftliche Beratung gibt es bislang im Gesetz nicht. Einen solchen fordert u. a. der BRJ als Ergänzung der Hilfeplanungsvorschriften.

Derzeit ist rechtspolitisch aber eher zu erwarten, dass allenfalls eine Klarstellung im SGB VIII erfolgt, dass unabhängige Ombudsstellen eingerichtet werden können. Obgleich eine solche Norm die Rechtsstellung der jungen Menschen und ihrer Familien nicht unmittelbar stärken würde und die Einrichtung von Ombudsstellen auch ohne diese Norm bereits jetzt möglich ist, wird erwartet, dass dies immerhin einen Ausbau der noch relativ wenig vorhandenen Ombudsstellen befördern würde.

Damit das besondere Beratungskonzept der Ombudsstellen nicht droht leerzulaufen, muss bei ihrem Aufbau und Betrieb unbedingt auf die strukturellen Rahmenbedingungen geachtet werden. Das gilt unabhängig davon, ob es zur Einführung einer solchen Ombudschaftsvorschrift im SGB VIII kommt.

Vertiefungshinweis: BAJ, Dossier Ombudschaft 2018

Das Gesetz sieht für die Kinder- und Jugendhilfe keine förmliche Antragstellung auf Hilfe vor. Bei Kenntnis von Hilfebedarf besteht vielmehr die Verpflichtung der Fachkräfte Hilfe anzubieten und ggf. auch werbend auf Inanspruchnahme von Hilfe hinzuwirken. Deshalb ist aus rechtlicher Perspektive vor allem wichtig, dem Jugendamt den Hilfebedarf zur Kenntnis zu geben. Diese Mitteilung kann mündlich und schriftlich geschehen. Meist ist dennoch ein kurzer Brief sinnvoll. Hierdurch wird z.B. nachweisbar, wann für das Jugendamt die Frist zum Handeln begann (vgl. Frage 3.1). In dem Brief sollten die eigenen Kontaktdaten stehen und in wenigen Sätzen, warum man Hilfe vom Jugendamt haben möchte. Ausführliche Darstellungen sind nicht nötig. Hierfür reicht es auf das Gespräch mit der zuständigen Fachkraft zu warten, in dem diese gemeinsam mit den Leistungsberechtigten über ihre Lebenslage reden wird.

Einige Jugendämter halten Formulare für Antragstellungen bereit, in der die Angabe verschiedener Daten bereits vorgesehen ist. So sollen Verwaltungsvorgänge vereinfacht und auf die Vollständigkeit der notwendigen Angaben hingewirkt werden. Sind solche Vordrucke vorhanden, sollen sie benutzt werden (§ 60 Abs. 2 SGB I). Eine Bearbeitung des „Antrags“ oder gar die Bewilligung von Hilfe darf aber vom Ausfüllen dieser Formulare nicht abhängig gemacht werden. Wurden ohne Verwendung der Vordrucke alle leistungserheblichen Tatsachen mitgeteilt, kann hieraus keine Ablehnung begründet werden.

Vertiefungshinweis: Münder ua/Tammen/Trenczek, Frankfurter Kommentar zum SGB VIII, 8. Aufl. 2018, § 27 Rn 44 und VorKap. 2 Rn 11; Anhang Verfahren Rn 24

Die Entscheidung des Jugendamts über die Hilfe ist ein Verwaltungsakt. Dieser kann schriftlich, mündlich, elektronisch oder in einer anderen Form erlassen werden (§ 33 Abs. 2 S. 1 SGB X). Das heißt, grundsätzlich ist es auch möglich, dass die Fachkraft des Jugendamtes am Schluss eines Gesprächs mitteilt, dass sie z.B. keinen Hilfebedarf erkennt und deshalb den Antrag ablehnt.

Allerdings besteht das Recht auf eine schriftliche Bestätigung eines solchen mündlich erklärten Verwaltungsakts, wenn der Betroffene diesen unverzüglich verlangt (§ 33 Abs. 2 S. 2 SGB X). Das notwendige rechtliche Interesse an der Bestätigung ist gegeben, da z.B. Überlegungen gegen die Entscheidung vorzugehen leichter anhand eines schriftlichen Bescheids getroffen werden können und so ein Nachweis der ablehnenden Entscheidung vorhanden ist.

In der Praxis kommt es teilweise zu erheblichen Wartezeiten bis zur Entscheidung über den Hilfeantrag. Diese überschreiten sind manchmal gesetzliche Fristvorgaben (vgl. zu den Fristen unter Frage 3.1 und 7.1).

Die Gründe hierfür können vielfältig sein. Öffentlich wird u. a. eine Überlastung der Jugendämter durch steigende Aufgaben bei zu geringem Personal beklagt (vgl. z. B. Tagesspiegelartikel https://www.tagesspiegel.de/berlin/sozialarbeiter-demo-heute-in-berlin-protest-gegen-notstand-in-jugendaemtern/23136682.html). Gegenüber den in den Jugendämtern tätigen Fachkräften ist daher häufig auch aus ombudschaftlicher Perspektive Verständnis für die berufliche Situation und Belastung, ja teils hoher Respekt für den täglichen Einsatz unter schwierigen Bedingungen angezeigt.

Dennoch legitimieren solche Überlastungen aber Fristüberschreitungen im Einzelfall nicht, da vorrangig gilt, dass strukturelle / organisatorische Probleme von Behörden eben nicht zu Lasten der Leistungsberechtigten ausgetragen werden dürfen. Für die Leistungsberechtigten besteht neben der Option des Abwartens und Drängelns (vgl. Frage 3.2) hier das Recht, die Leistung entweder vor Gericht einzuklagen (vgl. Frage 3.3) oder sie unter bestimmten Voraussetzungen selbst zu beschaffen (vgl. Frage 3.4).

Sozialleistungsträger, zu denen auch die Jugendämter gehören, sind verpflichtet darauf hinzuwirken, dass jede/r Berechtigte die ihr/ihm zustehenden Sozialleistungen in zeitgemäßer Weise, umfassend und zügig erhält (§ 17 Abs. 1 Nr. 1 SGB I). Eine konkrete Fristenregelung, was „zügig“ bedeutet oder die vorgibt innerhalb welcher Zeit auf einen Leistungsantrag reagiert werden muss, gibt es für die Jugendämter jedoch eigentlich nicht. Nur wenn das Jugendamt als Rehabilitationsträger, also im Rahmen von Eingliederungshilfe für Minderjährige mit einer (drohenden) seelischen Behinderung (§ 35a SGB VIII), tätig wird, gelten die deutlichen Zeitvorgaben des SGB IX.

Obwohl es keine allgemeine Frist gibt, die für die Verwaltung gilt, leitet man aus den gerichtlichen Klagefristen / der Frist für die Untätigkeitsklage ab, dass drei Monate Warten nach Antragstellung zu akzeptieren sind. Insbesondere wenn besondere Dringlichkeitserfordernisse im Einzelfall eine schnellere Entscheidung erfordern, muss das Jugendamt aber eiliger bescheiden. Das kann ggf. auch in Form eines Eilantrags auf Einstweilige Verfügung vor dem Verwaltungsgericht durchgesetzt werden (vgl. Frage 6.4).

Das bedeutet zusammengefasst:

  • Im Eilfall muss vom Jugendamt auch eine sehr schnelle, zeitnahe Entscheidung möglich gemacht werden.
  • Im Normalfall ist jedoch zu akzeptieren, wenn zwischen Antragstellung und Bescheidung bis zu drei Monate vergehen. Die drei Monate dürfen vom Jugendamt jedoch nicht z. B. zur Einsparung von Kosten willentlich eingeplant werden.
  • Agiert das Jugendamt als Rehabilitationsträger, weil es um eine Eingliederungshilfe gem. § 35a SGB VIII geht, ist es an die engeren Fristen des SGB IX gebunden (vgl. Frage 7.1).

Werden Fristen überschritten, bestehen für die Leistungsberechtigten Handlungsmöglichkeiten: einerseits durch das Einschalten eines Gerichts, andererseits in Form der Selbstbeschaffung (vgl. hierzu Frage 3.4).

Der Umgang mit Wartezeiten kann für Leistungsberechtigte sehr belastend sein. Dennoch sind Bearbeitungszeiten im o.g. Rahmen (vgl. Frage 3.1) grundsätzlich zu akzeptieren. Liegt aus Sicht der Leistungsberechtigten allerdings ein Eilfall vor, der eine unmittelbare Entscheidung über den Antrag erforderlich macht, sollten auch die Gründe hierfür unbedingt gegenüber dem Jugendamt dargestellt werden (z. B. drohende Wohnungslosigkeit ohne Überbrückungsgelegenheit, bevorstehende Beginn eines Ausbildungsjahrs). Das Jugendamt ist verpflichtet solche dringenden Gründe zu berücksichtigen und ggf. vor Ablauf der Frist zu entscheiden.

Oft ist es hilfreich in solchen Eilfällen anzukündigen, dass anderenfalls einstweiliger Rechtschutz vor dem Verwaltungsgericht angestrengt wird (vgl. Frage 3.3 und 6.4). Das kann gegenüber dem Jugendamt verdeutlichen, dass man es ernst meint und sich rechtlich informiert hat. Die Hinzuziehung eines Rechtsanwalts ist hierfür nicht unbedingt notwendig, sollte aber vor Einreichung des Eilantrags bei Gericht erwogen werden.

Es bestehen folgende gerichtliche Durchsetzungsmöglichkeiten nach Fristablauf bzw. im Eilfall:

  • Nach dem Ablauf von drei Monaten seit der Antragstellung besteht die Möglichkeit eine Untätigkeitsklage einzureichen (vgl. dazu Frage 6.3).
  • Insbesondere wenn besondere Dringlichkeitserfordernisse im Einzelfall eine schnellere Entscheidung erfordern, kann aber auch ein Antrag auf Einstweilige Verfügung vor dem Verwaltungsgericht sinnvoll sein (vgl. Frage 6.4). Hier wird vorläufig über den Leistungsanspruch entschieden, um das Abwarten in Eilfällen

Manchmal kann schon die ernsthafte Ankündigung solcher gerichtlicher Schritte zu einer Beschleunigung des Verfahrens im Jugendamt führen, so dass die Einreichung der Klage dann doch nicht mehr nötig ist.

Im Kinder- und Jugendhilferecht hat der Gesetzgeber betont, dass grundsätzlich die Jugendämter das Entscheidungsprimat über die Gewährung von Hilfen haben. Sie sind zur Kostentragung einer Hilfe grundsätzlich nur dann verpflichtet, wenn sie auf der Grundlage der Entscheidung des Jugendamtes nach Maßgabe des Hilfeplans unter Beachtung des Wunsch- und Wahlrechts erbracht wird (§ 36a Abs. 1 SGB VIII).

Allerdings ist das Jugendamt unter engen Voraussetzungen auch zu einer Erstattung der Kosten für eine selbstbeschaffte Hilfe verpflichtet, wenn

  • der Leistungsberechtigte das Jugendamt vor der Selbstbeschaffung über den Hilfebedarf in Kenntnis gesetzt hat,
  • die Voraussetzungen für die Gewährung der Hilfe vorlagen und
  • die Deckung des Bedarfs keinen zeitlichen Aufschub bis zu einer Entscheidung des Jugendamtes über die Gewährung der Leistung oder bis zu einer Entscheidung über den Widerspruch oder über die Klage auf eine zu Unrecht abgelehnten Leistung geduldet hat
    (§ 36 Abs. 3 SGB VIII).

Notwendig ist eine präzise Begründung, warum die Leistung unaufschiebbar erforderlich ist. Ferner ist eine „angemessene“ Fristsetzung gegenüber dem Jugendamt vor der Selbstbeschaffung sehr wichtig, um dem Jugendamt zunächst Gelegenheit zum Tätigwerden zu geben. Empfehlenswert ist eine Frist von mindestens zwei Wochen zu gewähren. In manchen Fällen bewirkt bereits eine solche Androhung der Selbstbeschaffung, dass der Antrag zügig bearbeitet wird.

Die Möglichkeit der Selbstbeschaffung kann folglich sehr effektiv sein, wenn die Leistungsberechtigten die notwendigen finanziellen Mittel zur Bezahlung der Leistung selbst aufbringen können. Sie tragen dann aber auch das hohe Risiko, auf den Kosten letztlich sitzenzubleiben, sollten sie in einem späteren Rechtstreit die Erstattung nicht durchsetzen können.

Von einer Selbstbeschaffung ist deshalb eher bei sehr kostenaufwändigen Leistungen abzuraten, ebenso, wenn unsicher erscheint, ob ein Anspruch auf Hilfe überhaupt begründet ist. Alternativ kann ein Eilantrag auf Einstweilige Verfügung vor dem Verwaltungsgericht sinnvoll sein (vgl. Frage 6.4).

Im Fall von Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit einer (drohenden) körperlichen oder geistigen Behinderung besteht gegenüber dem Träger der Sozialhilfe bzw. Eingliederungshilfeträger ein paralleles Recht auf Selbstbeschaffung gem. § 18 Abs. 6 SGB IX. Für Jugendamt als Rehabilitationsträger greift Vorschrift neben § 36a SGB VIII und gilt sogar vorrangig (§ 7 Abs. 2 SGB IX). Die die Leistungsberechtigten nochmals stärker begünstigenden Vorgaben in § 18 Abs. 1 bis 5 SGB IX (u. a. Entscheidungsfrist von 2 Monaten mit sehr begrenzten Möglichkeiten der Verlängerung) GELTEN HINGEGEN NICHT für Kinder- und Jugendhilfe (§ 18 Abs. 7 SGB IX).

Im Rahmen der Hilfeplanung findet im Gesprächs zwischen den Leistungsberechtigten und der zuständigen Fachkraft des Jugendamtes eine Verständigung über die dem Bedarf der Familie zugrundeliegenden Probleme, aber auch der im konkreten Einzelfall als geeignet und notwendig erachteten Hilfe statt. Die Leistungsberechtigten haben Beteiligungs- und Mitbestimmungsrechte (vgl. dazu unter Frage 1).

In Berlin finden sich Ausführungsvorgaben zur Hilfeplanung in der AV Hilfeplanung (Link: https://www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/hilfe-zur-erziehung/fachinfo/arbeitshilfen-av-hilfeplanung-handbuch-hilfen-zur-erziehung.pdf) sowie ergänzenden Arbeitshilfen (Link: https://www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/hilfe-zur-erziehung/fachinfo/arbeitshilfen-av-hilfeplanung-handbuch-hilfen-zur-erziehung.pdf).

Die Hilfen zur Erziehung sind staatliche (kommunale) Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe für Familien mit Kindern.

Gesetzlich geregelt sind diese Hilfen in §§ 27 – 40 des SGB VIII – Kinder und Jugendhilfe. Die Hilfen werden in §§ 28 – 35a aufgeführt, und werden meist auf Antrag des/der Personensorgeberechtigten nach Durchführung des Hilfeplanverfahrens (§ 36) von den örtlichen Jugendämtern gewährt.

Personensorgeberechtigte – meist die Eltern, gegebenenfalls ein Vormund oder Pfleger – haben einen Rechtsanspruch auf Hilfen zur Erziehung für sich und ihr Kind, „wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet ist und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist“ (§ 27 Abs. 1 SGB VIII). Es besteht also kein Anspruch auf eine bestimmte Hilfeform, sondern nur auf eine geeignete und notwendige Hilfeform. Die Grundlage für die Gewährung entsprechender pädagogischer Angebote ist das Hilfeplanverfahren (vgl. Frage 1.3), in dem sowohl die Sorgeberechtigten, die Kinder oder Jugendlichen sowie das Jugendamt beteiligt werden müssen.

Hilfearten

Es existiert eine Vielzahl unterschiedlicher Angebote von ambulanten, teil- und stationären Erziehungshilfen. Das Kinder- und Jugendhilfegesetz nennt beispielhaft die Leistungsformen:

  • § 28 Erziehungsberatung,
  • § 29 Soziale Gruppenarbeit,
  • § 30 Erziehungsbeistand,
  • § 31 Sozialpädagogische Familienhilfe,
  • § 32 Erziehung in einer Tagesgruppe,
  • § 33 Vollzeitpflege,
  • § 34 Heimerziehung, betreute Wohnform und
  • § 35 Intensive sozialpädagogische Einzelbetreuung
  • Eine Sonderstellung nimmt die Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche (§ 35a) ein. Diese gehört nicht zu den Hilfen zur Erziehung. Der Paragraf beinhaltet einen eigenen Rechtsanspruch. Anspruchsinhaber sind das Kind oder der Jugendliche selbst. (vgl. Frage 7)

Leistungen nach § 27 Abs. 2 SGB VIII werden als flexible Erziehungshilfen gewährt. Hierbei gilt es, dass Inhalt und Form des Hilfeangebotes dem jeweiligen Einzelfall so anzupassen sind, dass schwierige Lebenssituationen, insbesondere durch die Förderung und Stärkung der vorhandenen Fähigkeiten und Kenntnisse der hilfesuchenden Menschen, von diesen selbst bewältigt werden können.

Hilfe für junge Volljährige

wird 18- bis in der Regel 21-jährigen für die Persönlichkeitsentwicklung und zu einer eigenverantwortlichen Lebensführung gemäß § 41 SGB VIII gewährt. Sie umfasst Hilfen zur Erziehung und Eingliederungshilfen für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche. Die Hilfe für junge Volljährige kann im Ausnahmefall bis längstens zum 27.Lebensjahr gewährt werden.

Adressaten der Hilfe

Adressaten und Anspruchsinhaber der Hilfe gemäß § 41 SGB VIII sind junge Volljährige selbst. Mit Vollendung des 18. Lebensjahres erlischt die Erziehungsverantwortung des/der Personensorgeberechtigten. Die jungen Volljährigen sollen „verselbständigt“ werden, um in der Lage zu sein, ein „eigenverantwortliches Leben“ führen zu können.
In § 41 Abs.2 sind alle noch möglichen Hilfen abschließend benannt.

Da die Erziehungsverantwortung der Personensorgeberechtigten bei jungen Volljährigen nicht mehr existiert, sind Hilfen unzulässig, die sich auf die Herkunftsfamilie beziehen.

Inhalt der Hilfe

Hilfe für junge Volljährige kann sowohl als „fortgesetzte Hilfe“ zur Erziehung gewährt werden, wie auch als „Ersthilfe“, die erst nach Vollendung des 18. Lebensjahres beantragt wird.

Die „fortgesetzten Hilfe“ zur Erziehung, die vor Vollendung des 18. Lebensjahres gewährt wurde, wird auch nach dem Erreichen der Volljährigkeit fortgeführt. Dabei muss die Hilfe, um eine Aussetzung zu vermeiden, bereits vor Vollendung des 18. Lebensjahres beantragt werden. Durch die „fortgesetzte Hilfe“ zur Erziehung soll verhindert werden, die erreichten Fortschritte zu gefährden.

Die Beantragung einer „Ersthilfe“ ist rechtlich bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres möglich. Sie sollte jedoch so früh wie möglich erfolgen. Hilfe für junge Volljährige wird in der Regel bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres gewährt (in besonderen Einzelfällen auch darüber hinaus).

  • 41 Abs. 3 sieht auch vor, dass junge Volljährige nach Beendigung der Jugendhilfe noch nachbetreut werden sollen. Zu diesem Zweck kann im Hilfeplanverfahren eine bestimmte Anzahl Kontaktstunden für Beratung vereinbart werden (in der Regel maximal 20 Stunden). Diese Nachbetreuung soll dazu dienen, Unterstützung durch die vertraute Bezugsperson bei Notfällen und Einzelfragen zu gewährleisten.

Häufig wurden in der Vergangenheit anspruchsberechtigte Volljährige von der Jugendhilfe wegen Nichtzuständigkeit zum Sozialamt geschickt, um dort Eingliederungshilfe zu beantragen. Heute gibt es eine Vielzahl gerichtlicher Entscheidungen bis hin zu den obersten Bundesgerichten, die vermeiden sollen, dass Hilfeberechtigte keinerlei Hilfen erhalten, weil beide Behörden jeweils auf die andere verweisen.

Vorrang – Nachrang

Leistungen nach § 41 SGB VIII sind denen nach §§ 67, 68 SGB XII vorrangig (siehe hierzu: § 10 Abs.4 Satz 1 SGB VIII, bzw. § 67 Satz 2 SGB XII).

Junge Geflüchtete

Unbegleitete minderjährige Geflüchtete werden in Deutschland im Rahmen der Kinder- und Jugendhilfe untergebracht und betreut. Diese ist bei Bedarf bis zur Vollendung des 27. Lebensjahres für die jungen Menschen zuständig. Bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres besteht sogar ein sog. Regelrechtsanspruch auf Unterstützung. Dennoch endet für viele junge Geflüchtete die Jugendhilfe oftmals schon mit 18 Jahren. Dies ist – wenn noch ein Bedarf vorliegt – nicht rechtens.

Während der Hilfeplanungsgespräche kann es dazu kommen, dass sich die jungen Menschen und/oder ihre Personensorgeberechtigten „fürsorglich belagert“, mit Forderungen konfrontiert, ggf. auch unter Druck gesetzt erleben.
Dies kann Teil der notwendigen Auseinandersetzung mit den von ihren eigenen Wünschen und Vorstellungen abweichenden Einschätzungen der Fachkraft des Jugendamtes über die geeignete und notwendige Hilfe sein.
Es ist aber nicht akzeptabel, wenn dies zu einem Gefühl der Geringschätzung oder gar Ohnmacht gegenüber der behördlichen bzw. professionellen (Über-)Macht führt.

Oftmals kann es bereits helfen, eine deeskalierend wirkende Vertrauensperson zu den Gesprächen mitzubringen. Die Leistungsberechtigten haben nicht nur die Möglichkeit eine/n Bevollmächtigte/n zu den Gesprächen mitzubringen, der/die sie im Rahmen des Gesprächs vertritt (§§ 13 Abs. 1 SGB X). Sie können auch in Begleitung eines Beistands zum Gespräch erscheinen (§ 13 Abs. 4 SGB X). Dieser tritt im Unterschied zum/r Bevollmächtigten nicht als Vertretung des Beteiligten und an dessen Stelle auf, sondern ist nur zu dessen Unterstützung vor Ort befugt. Ombudspersonen können als Beistand / Bevollmächtigte Leistungsberechtigte zu Gesprächen im Jugendamt begleiten und diesen durch ihre Anwesenheit, Beratung und Vermittlung zur Seite stehen (vgl. hierzu auch Frage 1.6) Sowohl Leistungsberechtigte als auch die Fachkräfte des Jugendamtes haben eine solche Hinzuziehung der Ombudsstelle als sehr gute Erfahrung wahrgenommen und berichtet, dass sie hierdurch wieder besser auf Augenhöhe ins Gespräch gekommen seien. Das gilt so natürlich grundsätzlich auch bei Konflikten mit den Fachkräften des leistungserbringenden Trägers.

Die Träger von Einrichtungen sind verpflichtet Beschwerdemöglichkeiten vorzuhalten. Wie solche Beschwerdemöglichkeiten konkret ausgestaltet sind, unterscheidet sich in der Praxis sehr stark. Auch Jugendämter sehen teils eigene Beschwerdestellen vor, die innerhalb der Behörde als Anlaufstelle dienen sollen. Im Unterschied hierzu sind Ombudsstellen unabhängige, externe Anlaufstellen. Link zu unserem Konzept

Letztlich besteht zudem die Möglichkeit eine/n Vorgesetzte/n der Fachkraft einzuschalten. Wird die Verletzung einer Dienstpflicht durch einen Beamten gerügt, besteht die Möglichkeit der form- und fristlosen Dienstaufsichtsbeschwerde.

Ein Mangel an geeigneten, passgerechten Hilfen stellt ein erhebliches Problem dar. Das Jugendamt trägt die Gesamtverantwortung für die Erfüllung der Aufgaben der Kinder- und Jugendhilfe. Das Gesetz weist hierbei ausdrücklich auch auf seine Planungsverantwortung hin (§ 79 Abs. 1 SGB VIII). Gleichzeitig ist klar, dass die Fachkräfte im Jugendamt die Hilfen nicht selbst erbringen, sondern diese von Einrichtungen und Dienste erbracht werden, die zumeist durch Träger der freien Jugendhilfe betrieben werden. Öffentliche und freie Träger stehen insofern in gemeinsamer Verantwortung, eine hinreichende Zahl konzeptionell flexibler Angebote bereitzustellen.

In Berlin wurde eine Koordinierungsstelle bei der Senatsverwaltung für Bildung, Jugend und Familie eingerichtet, die für junge Menschen und ihre Familien in besonders schweren Lebenslagen trägerübergreifend nach verlässlichen Hilfsmöglichkeiten sucht (vgl. Abschlussbericht des Fachdiskurses „Bündnis für Schwierige“ https://www.berlin.de/sen/jugend/familie-und-kinder/hilfe-zur-erziehung/fachinfo/abschlussbericht-buendnis-fuer-schwierige.pdf)

Da auf aktuelle Entwicklungen – positiver wie negativer Art – reagiert werden muss, sind Anpassungen im Verlauf der Hilfeerbringung ganz normal und gehören zum Hilfeprozess.

Zum einen ist zwischen den Leistungsberechtigten und den Fachkräften außerhalb des Jugendamtes, die eine bewilligte Hilfeleistung schließlich konkret umsetzen, fortlaufend eine Verständigung über die Gestaltung der Hilfe erforderlich. Hier wird konkretisiert, was im Rahmen der Hilfeplanung zuvor erarbeitet wurde, welche Schritte Tag für Tag gegangen werden sollen und welche konkrete Unterstützung hierfür sinnvoll ist. Das Recht auf Beteiligung greift weiterhin (§§ 8, 36 SGB VIII, vgl. Fragen 1.1 und 1.3.

Kommt es hier zu Unstimmigkeiten kann die zuständige Fachkraft im Jugendamt hinzugezogen werden. Mit dieser kann, wenn es einem der Beteiligten erforderlich scheint, auch schon vor Ablauf der im Hilfeplan bestimmten Zeit eine Anpassung der Hilfe diskutiert werden. Sie kann auch bei Konflikten hinzugezogen werden.

Jedenfalls muss kurz vor Ende der im Bescheid bestimmten Hilfedauer mit der zuständigen Fachkraft im Jugendamt für eine Verlängerung der Hilfe Kontakt aufgenommen werden. Es ist ein neues Hilfeplangespräch durchzuführen. Die Verlängerung erfolgt nicht automatisch!
Gerade mit Erreichen der Volljährigkeit ist oftmals ein erhöhter Begründungsaufwand notwendig, um eine Fortsetzung der Hilfe durchsetzen zu können. Hier gilt es darzustellen, warum eine selbstständige Lebensführung ohne die Hilfe noch nicht möglich ist. Leistungsberechtigt und damit Anspruchssteller ist ab dem 18. Lebensjahr der junge Mensch selbst und nicht mehr seine Eltern/Personensorgeberechtigten. Link zu unserem Projekt: „Zuständig bleiben! Ombudschaft für junge Menschen in schwierigen Übergängen“

In der Kinder- und Jugendhilfe gilt die Verständigung zwischen den leistungsberechtigten jungen Menschen, ihren Personensorgeberechtigten und den zuständigen Fachkräften im Jugendamt bzw. beim leistungserbringenden freien Träger als zentraler Gelingensfaktor jeder Hilfe. Deshalb sind gesetzlich Rechte zur Beteiligung und Mitwirkung verankert (vgl. Frage 1.3).

Dennoch kann es zu Konflikten kommen. Zum Teil sind sie Ausdruck einer unterschiedlichen Wahrnehmung der Lebenssituation. Es kann auch sein, dass Probleme oder bevorstehende Entwicklungen unterschiedlich eingeschätzt werden. Dann ist es wichtig, in der Auseinandersetzung zu bleiben und weiter den Austausch zu suchen. Manchmal finden sich trotz der unterschiedlichen Sichtweisen für beide Seiten akzeptable Optionen für die Hilfeerbringung. Die Meinungsverschiedenheit sollte im Hilfeplan dokumentiert werden, um später konstruktiv wieder aufgegriffen werden zu können.

Gerade bei Gefühlen von Unterlegenheit oder wenn respektloses Verhalten wahrgenommen wird, kann es sinnvoll sein eine deeskalierend wirkende Vertrauensperson zu Gesprächen mitzubringen (vgl. Frage 4.3).

Auch wenn der im Rahmen des Verständigungsprozesses erarbeite Hilfeplan der Entscheidung über den Hilfeantrag zugrunde zu legen ist, handelt es sich bei der Entscheidung um einen Verwaltungsakt. Dieser ist von der zuständigen Fachkraft im Jugendamt zu treffen. Sollte der/die Leistungsberechtigte mit der Entscheidung nicht einverstanden sein, bestehen rechtsstaatliche Möglichkeiten die Entscheidung kontrollieren zu lassen. Es kann Widerspruch und Klage eingereicht werden (vgl. Fragen 6.1 und 6.2).

Neben der Beteiligung der Personensorgeberechtigten ist in der zentralen Vorschrift zur Hilfeplanung auch das Zusammenwirken mehrerer Fachkräfte des Jugendamtes bei der Entscheidung über die Hilfe vorgesehen – jedenfalls wenn die Hilfe voraussichtlich längere Zeit zu leisten ist (§ 36 Abs. 2 SGB VIII). Die Arbeit im Team macht eine fachliche Reflexion und gegenseitige Beratung möglich, was zu einer Qualifizierung der Tätigkeit im Jugendamt beiträgt.

Zum Teil wird die Bewilligung bestimmter Hilfen in den Jugendämtern von einer Zustimmung der Sachgebiets-, Abteilungs- oder auch Amtsleitung abhängig gemacht und dies auch in entsprechenden Dienstvorschriften vorgesehen. Eine solche Vorgabe kann jedoch im Widerspruch zur kooperativen und koproduzierenden Hilfeplanung und der daraus abzuleitenden Entscheidungsfindung stehen (vgl. Frage 1.3). Das gilt insbesondere, wenn die Leitungskraft eine Art Letztentscheidungsbefugnis / Vetorecht ausübt, sie also nicht einfach in die Gruppe der planenden Fachkräfte eingefügt sondern hervorgehoben agiert. Besonders problematisch ist es, wenn sie zudem in die Hilfeplanung mit den jungen Menschen und ihrer Familie gar nicht einbezogen war und nur nach Aktenlage entscheidet.

Das Jugendamt ist eine hierarchisch aufgebaute Behörde, deshalb ist Leitungsentscheidungen zu folgen. Hält eine Fachkraft eine Anweisung ihrer Leitung fachlich für falsch und deshalb rechtswidrig, ist sie beamtenrechtlich sogar verpflichtet ihre Bedenken unverzüglich ihr gegenüber geltend zu machen (Remonstrationspflicht, § 63 BBG/ § 36 BeamtStG). Bestätigt der/die Vorgesetzte die Anweisung und sind die Bedenken der Fachkraft nicht ausgeräumt, muss sie sich an den/die nächsthöhere/n Vorgesetzte/n wenden. Wird die Weisung erneut bestätigt, ist sie auszuführen.

Vertiefungshinweis: DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2018, S. 143

Wirtschaftliche Erwägungen dürfen bei einer Hilfeentscheidung keine hervorgehobene Bedeutung haben. Nur im Rahmen des Wunsch- und Wahlrechts ist als Schranke bei gleich geeigneten Leistungen vorgesehen, dass keine unverhältnismäßigen Mehrkosten durch die Wahl der Leistungsgestaltung entstehen dürfen (vgl. Frage 1.4).

Der Mehrkostenvorbehalt spielt insbesondere keine Rolle, wenn sich Leistungsberechtigte und die zuständige Fachkraft über die geeignete und erforderliche Hilfe einig sind. Einwendungen der Wirtschaftlichen Jugendhilfe können nur als eine Sichtweise unter mehreren kollegial in die Entscheidungsfindung der zuständigen Fachkraft einfließen, ein Vorbehalts- oder Vetorecht der Wirtschaftlichen Jugendhilfe besteht nicht (vgl. Frage 5.2).

Vertiefungshinweis: DIJuF-Rechtsgutachten JAmt 2018, S. 143

Die Leistungsberechtigten sind an der Aufstellung des Hilfeplans zu beteiligen. Es besteht ein Recht auf Mitwirkung an der Erstellung des Hilfeplans, der die Grundlage der Entscheidung des Jugendamtes über den Hilfeantrag bildet (vgl. dazu Frage 1.3 und 4.1).

Mitwirkungspflichten ergeben sich aus § 36 SGB VIII nicht. Sie bestehen lediglich nach den §§ 60 bis 64 SGB I. Es besteht danach u. a.

  • eine Offenbarungsverpflichtung bezüglich leistungserheblicher Tatsachen bzw. derer Veränderungen,
  • die Pflicht zur Auskunftserteilung durch Dritte erforderlichenfalls zuzustimmen sowie
  • die Pflicht des persönlichen Erscheinens auf Verlangen des Jugendamtes insb. zum Hilfeplangespräch oder bei einer erforderlichen Begutachtung.

Gleichzeitig sind im Gesetz Grenzen der Mitwirkungspflichten festgehalten, welche sich insbesondere aus Angemessenheits- und Zumutbarkeitskriterien ergeben können (§ 65 SGB I).

Wird durch fehlende Mitwirkung die Aufklärung des Sachverhalts erheblich erschwert, besteht die Möglichkeit der Leistungsversagung oder -entziehung, soweit die Voraussetzungen der Leistungserbringung nicht nachgewiesen sind (§ 66 SGB I). Auf diese Folge ist der oder die Leistungsberechtigte zuvor jedoch schriftlich hinzuweisen und ihm/ihr eine Frist zu setzen, um der Mitwirkung doch noch nachzukommen.

Nicht unter diese Mitwirkungspflichten fallen hingegen Handlungserwartungen gegenüber den Leistungsberechtigten, die jenseits des Sachverhaltsaufklärungsinteresses liegen. So sind z. B. ein regelmäßiger Schulbesuch, Drogenabstinenz oder Verhaltensanpassungen an Hausregeln keinesfalls als Voraussetzung für die Gewährung einer Jugendhilfeleistung zu begreifen. Vielmehr kommen diese als mögliche Hilfeziele in Betracht, die im Verlauf der Hilfe angestrebt werden.
Allerdings kann es sein, dass in der Hilfeplanung eine konkrete Hilfe konzeptionell nur dann als geeignet eingeschätzt werden kann, wenn sich der oder die Leistungsberechtigte dort entsprechend bestimmter Erwartungen verhält. Es handelt sich um eine fachlich anspruchsvolle Aufgabe im Verständigungsprozess zu realistischen Einschätzungen zu kommen, um eine passgenaue Hilfe einrichten zu können. Zeigt sich im Laufe der Zeit, dass die Hilfe nicht so greift wie gedacht, ist nicht die Beendigung der Hilfegewährung im Sinne einer Sanktionierung der „ungenügend mitwirkenden Leistungsberechtigten“, sondern vielmehr eine Anpassung der Hilfe unter besonderer Beachtung von deren Geeignetheit erforderlich.

Gegen einen (teil-)ablehnenden Bescheid kann vom Betroffenen innerhalb von einem Monat nach dessen Bekanntgabe Widerspruch eingereicht werden (§ 70 Abs. 1 VwGO). Wird der Widerspruch ebenfalls abgelehnt, kann Klage vor dem Verwaltungsgericht eingereicht werden (dazu Frage 6.3).

Die Einreichung eines Widerspruchs ist wichtig, weil dieses Vorverfahren Voraussetzung für die Einreichung einer zulässigen Anfechtungs- sowie Verpflichtungsklage ist. Einige Bundesländer haben das Widerspruchsverfahren (Vorverfahren) allerdings abgeschafft. Diese Möglichkeit wird den Landesgesetzgebern durch § 68 Absatz 1 Satz 2 VwGO gegeben. Berlin hat von dieser Möglichkeit nicht Gebrauch gemacht – hier ist der Widerspruch daher dringend notwendig!

Für die Einlegung des Widerspruchs ist kein Rechtsanwalt notwendig. Die Begründung, warum doch ein Anspruch auf Erhalt der Jugendhilfeleistung gesehen wird, kann mit eigenen Worten erfolgen. Hierzu kann auch gut ombudschaftliche Beratung erbeten werden (https://ombudschaft-jugendhilfe.de/ombudsstellen/).
Es kann dabei sinnvoll sein, zunächst fristwahrend formell Widerspruch einzureichen und die Begründung nachzureichen. Wird die Frist hingegen versäumt, wird der ablehnende Bescheid rechtskräftig und kann nicht mehr angegriffen werden. Dann ist nur ein Neuantrag möglich, der aber unter erhöhtem Begründungsaufwand zu tatsächlichen Veränderungen im Vergleich zum Erstantrag steht.

Der Widerspruch ist bei der Behörde/Widerspruchsstelle einzulegen, die in der Rechtsbehelfsbelehrung benannt ist. Fehlt eine Rechtsbehelfsbelehrung verlängert sich die Widerspruchsfrist auf ein Jahr. Dennoch ist es auch in einem solchen Fall empfehlenswert, die Monatsfrist möglichst einzuhalten.

SpeichernDurch die Einreichung eines Widerspruchs entstehen außer dem eigenen Aufwand keine Kosten, sofern kein Rechtsanwalt oder keine Rechtsanwältin hinzugezogen wird.
Wird jedoch ein Rechtsanwalt oder eine Rechtsanwältin beauftragt, muss diese/r zunächst selbst bezahlt werden. Bei Erfolg des Widerspruchs ist es jedoch möglich, unter bestimmten Voraussetzungen die Rechtsanwaltsgebühren von der Behörde zurückzuverlangen (§ 63 SGB X).
Um das Kostenrisiko zu minimieren, wird es in vielen Fällen ratsam sein, den Widerspruch – ggf. unter Hinzuziehung einer Ombudsstelle – selbst zu tätigen und zu begründen. Hierbei ist vor allem darauf zu achten, alle bekannten Tatsachen vorzutragen. Das sollte sachlich und ohne unnötiges Aufblähen geschehen. Soweit vorhanden können auch unterstützende Stellungnahmen (z. B. von derzeitigen Betreuungspersonen) verstärkend helfen.

Wenn ein Widerspruch gegen einen belastenden Verwaltungsakt eingelegt wird, hat der Widerspruch grundsätzlich aufschiebende Wirkung. Diese aufschiebende Wirkung entfaltet er jedoch nicht, falls eine gesetzlich normierte Ausnahme vorliegt oder die aufschiebende Wirkung explizit von der Behörde im Bescheid ausgeschlossen wurde (§ 80 VwGO).

Ein belastender Jugendhilfebescheid/Verwaltungsakt liegt insbesondere vor, wenn eine vorzeitige Entlassung aus der Jugendhilfe entgegen der ursprünglichen Kostenübernahmeerklärung erfolgt. Hat die Behörde nichts Anderes in ihrem Bescheid erklärt, hat ein Widerspruch hier daher aufschiebende Wirkung. Hat das Jugendamt eine solche behördliche Anordnung getroffen, die die aufschiebende Wirkung nimmt, kann bei Gericht ein Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung eingereicht werden (§ 80 Abs. 5 VwGO).

Zu beachten ist ferner, dass bei der Ablehnung eines begünstigenden Verwaltungsakts, der Widerspruch jedoch keine aufschiebende Wirkung hat. Um eine solche Ablehnung handelt es sich insbesondere bei einem negativen Bescheid auf einen Antrag auf Hilfe zur Erziehung (Erst-, aber auch Folgeantrag). Das Gesetz sieht hier also nicht vor, dass vorsorglich dennoch einfach erst einmal geleistet wird, sondern man muss sowohl Widerspruch gegen die Ablehnung einlegen, als auch nach § 123 VwGO beim Verwaltungsgericht im Eilverfahren beantragen, dass die Leistung doch bewilligt wird.

Es kann dazu kommen, dass mehrere Verfahren parallel geführt werden müssen: Bei der Bewilligung von Jugendhilfe-Leistungen handelt es sich um einen „Dauerverwaltungsakt“, da die Leistung ja nicht einmalig geleistet wird (wie z.B. mittels Erteilung einer Lizenz oder einer finanziellen Einmalleistung), sondern sie sich über einen gewissen Zeitraum erstreckt. Wenn dieser Zeitraum durch einen belastenden Aufhebungsbescheid gekürzt wird, hat der Widerspruch dagegen aufschiebende Wirkung (§ 80 VwGO). In diesem Fall ist also Widerspruch einzulegen und darauf hinzuweisen, dass die Leistung damit grundsätzlich weiterhin zu gewähren ist. Sobald der Widerspruch abgelehnt wird, muss Klage eingelegt werden, welche wiederum aufschiebende Wirkung hat – aber natürlich nur für den Zeitraum, der ursprünglich bewilligt war. Deshalb ist immer darauf zu achten, dass alle Zeiträume abgedeckt werden! Noch während des laufenden Streitverfahrens nach § 80 VwGO muss daher oft gleichzeitig ein Antrag auf Weiterbewilligung der Leistung eingereicht werden, für den notfalls parallel ein Eilantrag nach § 123 VwGO eingelegt werden muss.

Eine Klage vor dem Verwaltungsgericht wegen eines abgelehnten Leistungsantrags ist nur möglich, wenn zuvor ein Widerspruch (vgl. Frage 6.1) eingelegt worden ist. Dieses Vorverfahren ist unbedingt einzuhalten!

Hat man einen ablehnenden Widerspruchsbescheid erhalten, ist die Klage innerhalb eines Monats ab dessen Erhalt bei dem Gericht zu erheben, das in der Rechtsbehelfsbelehrung benannt wurde. Im Fall von abgelehnten Jugendhilfeleistungen im Land Berlin handelt es sich um das Verwaltungsgericht Berlin (Link: https://www.berlin.de/gerichte/verwaltungsgericht/).

Es besteht keine Pflicht einen Rechtsanwalt hinzuzuziehen, dies wird zumeist aber ratsam sein. Wer dennoch allein vorgehen will, kann eine Klage auch zu Protokoll der Geschäftsstelle des Verwaltungsgerichts geben.
Die meisten Ombudsstellen können Rechtsanwälte empfehlen, die im Kinder- und Jugendhilferecht spezialisiert sind.

Einkommensschwache Bürger haben die Möglichkeit für eine rechtsanwaltliche Erstberatung einen Beratungsschein zu beantragen. Die Kosten werden dann bis auf eine Gebühr von 15,-€ übernommen. Kommt es zum gerichtlichen Verfahren kann zudem Prozesskostenhilfe beantragt werden (Link: https://service.berlin.de/dienstleistung/326037/).

Eine Untätigkeitsklage kann eingereicht werden, wenn über einen Antrag ohne sachlichen Grund nicht in angemessener Frist entschieden wurde. Im Verwaltungsgerichtsverfahren ist hierfür eine Frist von drei Monaten vorgesehen (§ 75 VwGO). Die Umstände des Einzelfalls können aber auch eine kürzere Frist als drei Monate gebieten.

Die Klage kann sowohl gegen die Nichtbescheidung eines Antrags, als auch gegen die Nichtbescheidung eines Widerspruchs eingereicht werden.

Auch hier ist eine anwaltliche Vertretung zwar nicht Pflicht, aber in der Regel ratsam.
Die meisten Ombudsstellen können Rechtsanwälte empfehlen, die im Kinder- und Jugendhilferecht spezialisiert sind.

Als zureichender Grund für eine Verzögerung wird eine länger andauernde Überlastung von Behörden nicht anerkannt, hier muss das Jugendamt für Ausgleich sorgen. Für ausreichende Vertretung muss auch im Fall von Urlaub, Krankheit oder persönlicher Überlastung der zuständigen Fachkraft gesorgt werden. Diese Gründe dürfen nicht zu Lasten der Leistungsberechtigten gehen. Anderes wurde nur bei einer vorübergehenden Überlastung z. B. nach einer großen Gesetzesänderung oder Veraltungsumorganisation anerkannt.

Ein Verzögerungsgrund, der hingegen anerkannt wird und eine Untätigkeitsklage unzulässig macht, kann im Fehlen eines für die Entscheidung notwendigen Gutachtens oder einer Stellungnahme liegen. Das Gericht kann hier das Verfahren der Untätigkeitsklage aussetzen und dem Jugendamt eine Frist für die Entscheidung setzen.

Vertiefungshinweis: Kopp/Schenke, VwGO-Kommentar, § 75 Rn.13f.

Da die Hilfen der Kinder- und Jugendhilfe in aller Regel darauf ausgerichtet sind, auf aktuelle Lebenssituationen zu reagieren, wird ihre Gewährung zumeist mit einer gewissen Dringlichkeit von den Berechtigten begehrt. Um diese gerichtlich durchzusetzen, wird oftmals ein Antrag auf einstweilige Anordnung sachgerecht sein (§ 123 VwGO). Denn während die regulären Klageverfahren zumeist mehrere Monate, manchmal auch Jahre dauern, wird im Eilverfahren sehr viel schneller und in wenigen Wochen, ggf. auch Tagen entschieden.

Das Verfahren der einstweiligen Anordnung ist nicht unkompliziert. Deshalb sollte es in der Regel mit Hilfe rechtsanwaltlicher Unterstützung angestrengt werden.
Die meisten Ombudsstellen können Rechtsanwälte empfehlen, die im Kinder- und Jugendhilferecht spezialisiert sind.

Das Gericht trifft keine abschließende Entscheidung, sondern prüft nur, ob glaubhaft dargestellt wurde, dass der Rechtsanspruch auf Hilfe mit größter Wahrscheinlichkeit besteht und im Hauptsachverfahren voraussichtlich Erfolg haben wird (Anordnungsanspruch). Außerdem muss die Eilbedürftigkeit dargelegt werden, also die Dinglichkeit der Notlage, welche eine sofortige Entscheidung notwendig macht (Anordnungsgrund).

Vertiefungshinweis: C. Knödler, T. Krodel, Eilrechtschutz und Klage in der Sozialen Arbeit

Ombudsstellen beraten über die Möglichkeiten des Rechtschutzes. Sie klären über das Widerspruchsverfahren und die unterschiedlichen Klagearten auf.

Wie sich Ombudsstellen konkret einbringen, kann dabei entsprechend der unterschiedlichen Konzeptionen der Initiativen in der Bundesrepublik sehr unterschiedlich sein.
Beratung und ggf. auch Unterstützung im Widerspruchsverfahren etwa durch Hinweise zur Einlegung des Widerspruchs wird zumeist angeboten.
Rechtdurchsetzung vor Gericht wird durch die Ombudsstellen selbst hingegen nicht geleistet. Die meisten Ombudsstellen können aber Rechtsanwälte empfehlen, die im Kinder- und Jugendhilferecht spezialisiert sind.
Einige Ombudsstellen (z.B. der BRJ e.V.) verfügen zudem sogar über ein geringes Budget, um in Einzelfällen Ratsuchende bei einer Klage finanziell zu unterstützen und ihr Risiko im Fall des Scheiterns abzufangen.

Im 1. Teil des SGB IX sind spezielle Verfahrensregelungen für alle Rehabilitationsträger vorgegeben, wenn sie Leistungen für Menschen mit Behinderung erbringen. Diese Regelungen haben zum Ziel, die Belastung für die berechtigten Personen zu verringern, die dadurch erstehen, dass Sozialleistungen durch unterschiedliche Sozialleistungsträger erbracht werden. Menschen mit Behinderung müssen besonders oft Leistungen aus unterschiedlichen Systemen erhalten. Ihnen sollen nach dem Willen des Gesetzgebers keine Zuständigkeitsstreitigkeiten aufgebürdet werden, vielmehr ist angestrebt, dass dies zwischen den Behörden geklärt wird und ggf. auch ein Träger für den anderen in Vorleistung geht.

Das SGB IX ist schon 2001 in Kraft getreten, seine Regelungen haben jedoch lange nicht hinreichend Beachtung gefunden. Deshalb wurden im Rahmen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) Konkretisierungen und Verschärfungen vorgenommen. Von bestimmten Vorgaben kann nun auch in den Spezialgesetzbüchern der einzelnen Sozialleistungsträger nicht mehr abgewichen werden (§ 7 Abs. 2 SGB IX). Das bezieht sich insbesondere auf die Vorgaben zur Zuständigkeitsklärung, auf das Teilhabeplanverfahren zur Koordination zwischen mehreren Rehabilitationsträgern und bestimmte Vorgaben zur Bedarfsermittlung.

Vertiefungshinweis: Schönecker, Auswirkungen des Bundesteilhabegesetzes (BTHG) auf die Kinder- und Jugendhilfe (Verfahrensfragen) – erste Hinweise für die Praxis, KIJuP-Themengutachten TG-1233

Jeder Rehabilitationsträger ist verpflichtet innerhalb von zwei Wochen nach Antragseingang darüber zu entscheiden, ob er grundsätzlich für die beantragte Leistung zuständig ist (§ 14 Abs. 1 S. 1 SGB IX). Stellt er fest, dass er insgesamt nicht zuständig ist, leitet er den Antrag unverzüglich an den nach seiner Auffassung zuständigen Rehabilitationsträger weiter und informiert darüber die Antragssteller*innen. Ohne Weiterleitung innerhalb dieser zwei Wochen wird der Erstangegangene zum „leistenden Rehabilitationsträger“, mit Weiterleitung ist das automatisch der Zweitangegangene. Das ist wichtig, weil der „leistende Rehabilitationsträger“ für die Koordination zwischen den Rehabilitationsträgern verantwortlich ist (§ 15 SGB IX) und er gegenüber dem oder der Leistungsberechtigten zur unverzüglichen Bedarfsermittlung, -feststellung und Erbringung der Leistung verpflichtet ist (§ 14 Abs. 2 S. 1 SGB IX). Der Zweitangegangene kann, wenn er sich selbst wiederum für unzuständig hält, nur mit Zustimmung des drittangegangenen Trägers noch innerhalb der Zweiwochenfrist weiterleiten (sog. Turboklärung, § 14 Abs. 3 SGB IX).

Neben der Frist für die Zuständigkeitsklärung gibt es auch Fristvorgaben für die Entscheidung über den Antrag.

  1. Ist für die Bedarfsfeststellung kein Gutachten erforderlich, ist gesetzlich eine Entscheidung des leistenden Rehabilitationsträgers innerhalb von drei Wochen nach Antragseingang vorgeschrieben (§ 14 Abs. 2 S. 2 SGB IX). Handelt es sich um den zweit- oder drittangegangenen Rehabilitationsträger beginnt der Fristlauf ab Antragseingang bei ihm selbst (§ 14 Abs. 2 S: 4 SGB IX).
  2. Ist ein Gutachten erforderlich, wird die Entscheidung innerhalb von zwei Wochen nach Vorliegen des Gutachtens getroffen (§ 14 Abs. 2 S. 3 SGB IX). Auch für die Begutachtung gibt es konkrete gesetzliche Vorgaben: Die Beauftragung muss unverzüglich durch den leistenden Rehabilitationsträger an einen geeigneten Sachverständigen gegeben werden, diesen kann der oder die Leistungsberechtigte unter drei genannten, wohnortnahen Sachverständigen auswählen (§ 17 Abs. 1 SGB IX). Die Erstellung des Gutachtens soll innerhalb von zwei Wochen und unter Beachtung einheitlicher Begutachtungsgrundsätze erfolgen (§ 17 Abs. 2 S. 1f. SGB IX). Das heißt zusammengenommen, dass im Fall der Erforderlichkeit eines Gutachtens, die Entscheidung über den Antrag innerhalb von 7 Wochen vorliegen sollte.
  3. Werden von dem Antrag neben den Leistungen des leistenden Rehabilitationsträgers auch Leistungen anderer Rehabilitationsträger erfasst, muss der leistende Rehabilitationsträger die Leistungszuständigkeit und -erbringung mit diesen koordinieren. Für die Beteiligung der Rehabilitationsträger wird eine längere Frist bis zur Entscheidung über den Antrag von sechs Wochen, bei Durchführung einer Teilhabekonferenz von zwei Monaten eingeräumt (§ 15 Abs. 4 S. 1f. SGB IX).

Bislang besteht eine Zuständigkeitsaufspaltung hinsichtlich der Eingliederungsleistungen für Kinder und Jugendliche mit (drohender) Behinderung:

  • Eingliederungshilfe bei (drohender) seelischer Behinderung wird gem. § 35a SGB VIII durch die Jugendämter gewährt.
  • Für Eingliederungshilfe bei (drohender) körperlicher oder geistiger Behinderung gem. §§ 53 SGB XII (ab dem 01. Januar 2020 gem. dem des durch das Bundesteilhabegesetz reformierten zweiten Teil des SGB IX) sind die Sozialämter bzw. Eingliederungshilfeträger zuständig.

In Berlin wird seit vielen Jahren aufgrund einer stadtstaatlichen Sonderregelung die Eingliederungshilfe für alle Kinder und Jugendliche mit Behinderung durch die Jugendämter gewährt. Die bundespolitisch angestrebte Gesamtzuständigkeit („inklusive / große Lösung“) wird hier gewissermaßen bereits gelebt.

Diese Zuständigkeitszusammenführung im Jugendamt ändert aber nichts an den jeweils geltenden gesetzlichen Vorgaben. Für die Eingliederungshilfe nach SGB XII/SGB IX gelten teils andere Vorgaben, die hier aber nicht ausführlich dargestellt werden können.

Ausdrücklich soll aber darauf hingewiesen werden, dass die gerichtliche Kontrolle für die Eingliederungshilfe nach dem SGB XII/SGB IX der Sozialgerichtsbarkeit obliegt, also Klage beim Sozialgericht zu erheben ist. Die Kontrolle der originären Jugendamtsentscheidungen erfolgt hingegen durch die Verwaltungsgerichtsbarkeit (hierzu Fragen 6). Konkrete Hinweise dazu sind der Rechtsbehelfsbelehrung jeden Bescheids zu entnehmen. Die Rechtsmittel selbst bestehen parallel und richten sich nach der jeweiligen Gerichtsordnung (VwGO bzw. SGG).

Es gibt eine Vielzahl von Materialien mit Ausführungen zum Recht der Kinder- und Jugendhilfe.

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